Valldemossa und Chopin - quasi untrennbar verwoben und unersetzlich. So will es die Legende. Aber was daran stimmt überhaupt?
Wie aus Polen Franzosen werden
Valldemossa und Chopin sind wie untrennbar verbunden. Der berühmte „Sohn“ der Stadt Valldemossa ist eigentlich ein Pole. Der nicht einmal volle zwei Monate in Valldemossa war. Trotzdem wird aus dem kurzen Gastspiel im Winter 1938/39 ein gefühlt langer und inniger Aufenthalt eines mit der Insel verwurzelten Fans.
Der kleine Ort in den Bergen hat dem berühmten Polen sogar ein Museum gebaut. Das versucht, möglichst viel über einen in Wahrheit doch sehr kurzen Zeitraum zu erzählen. Und sich dabei auch um historische Authentizität bemüht.
Aber fangen wir von vorne an. Sicher denkst Du, wenn Du Valldemossa hörst, an Chopin. Und diejenigen, die etwas näher dran sind, wissen dann auch, da war was mit dieser französischen Schriftstellerin. Und denken wir nicht Alle, das der bekannte Komponist und Musikpädagoge Frédéric Chopin mit dieser schicken Französin eine heisse Affäre gehabt hätte?
Keiner hat das so richtig gesagt. Aber wenn Ihr Euch mit dem Thema befasst, werdet Ihr schon immer wieder über Formulierungen stolpern wie „Der Ort ist berühmt für die heisse Liebesaffäre, die Chopin hier mit der Schriftstellerin George Sand hatte“. Ich hatte auch irgendwie die Vorstellung, das Chopin es hier auf den Gipfel seiner Kreativität geschafft hätte. Natürlich inspiriert durch seine junge Muse und Gespielin.
Egal wie, die Warheit ist: Die Beiden waren schlicht ein normales Paar. Und ganz nebenbei war der deutlich jüngere nicht George Sand, sondern Chopin. Und dieses Paar wollte aus dem schlichten Grund über den Winter nach Mallorca, weil eines der Kinder, die Amantine Lupin, wie Sand bürgerlich hiess, mit in die Beziehung gebracht hatte, an Rheumatismus erkrankt war. Chopin dachte sich dann noch: „wenns dem Maurice hilft, vielleicht hilft es mir auch“ und entschied sich, nach Perpignan zu reisen, wo die restliche Familie bereits auf die Überfahrt nach Barcelona wartete. Die mussten dann eben noch zwei Wochen länger dort ausharren, denn solange brauchte der Maestro, um zum Rest der Familie aufzuschließen.
Als dann der ganze Trupp in Barcelona angekommen war, mussten sie wiederum 5 Tage auf die Überfahrt nach Mallorca warten. Und die benötigte zur damaligen Zeit volle zwei Tage.
Also war hier mitnichten ein Paar unterwegs, das vielleicht eine heisse kurze Affäre hatte. Sondern eine ganze Familie, die eine wochenlange Reise auf sich nahm, um den Gesundheitszustand des älteren Bruders und des Stiefvaters zu verbessern. Und vergessen wir dabei nicht: Es gab weder iPads noch Autos …
Ein kurzes Intermezzo in die Neuzeit, bewegen wir die Worte der Balearen – Regierung in unserem Herzen und lesen gemeinsam dieses Zitat:
Als Protagonist der musikalischen Romantik hinterließ Chopin unverwischbare Spuren in der Stadt Valldemossa, wo er zwischen November 1838 und Februar 1839 wohnte und sich eine Verbesserung seines schwachen Gesundheitszustandes erhoffte. Trotz der Kürze seines Aufenthalts wird niemand jemals in der Lage sein, das Andenken an die Person des Komponisten auf der Insel Mallorca zu ersetzen.
https://www.illesbalears.travel/artikel/de/mallorca/auf-den-spuren-von-frederic-chopin
Was bitte soll das denn?! Der arme Kerl kam nach Mallorca, um seine Tuberkulose zu behandeln. Zunächst zog er nach Establiments. In eine Finca namens „Son Vent“. Was „Haus des Windes“ auf Mallorquin heisst und nicht unbedingt auf eine windgeschützte Lage hinweist. Aber gegenüber dem was dann folgte, war dieses Haus vermutlich noch die Luxusversion. Denn die örtlichen Behörden vertrieben das unverheiratete Paar. Da war einerseits die Sorge um die Moral, andererseits aber auch die sogar nachvollziehbare Sorge um die Gesundheitshygiene der Bevölkerung, denn Chopin hustete sich ja die Lunge aus dem Hals. Und die Behörden mutmassten gerechtfertigt, daß der feine Herr möglicherweise einige weniger feine Bakterien aussondern könnte.
Tatsächlich zog die Familie dann notgedrungen um in die Klosterkarteuse von Valldemossa. Da wollte nämlich Niemand sonst hin. Einfach, weil es im Winter kein besonders lebensfreundlicher Ort war. Aber der hustende Chopin störte dort wiederum auch Niemanden mehr.
Madame Sand hat über die Zeit in Mallorca tatsächlich ein Buch geschrieben mit dem Titel „Ein Winter auf Mallorca„, das im März 2022 im Suhrkamp/Insel Verlag wieder aufgelegt worden ist.
Einer von uns erkrankte; er war von zarter Konstitution, hatte eine starke Kehlkopfentzündung bekommen und litt bald unter den Wirkungen der Feuchtigkeit. Das Haus des Windes (Son Vent im dortigen Dialekt), die Villa, die uns Señor Gómez vermietet hatte, wurde unbewohnbar. Die Mauern waren so dünn, dass der Kalk, mit dem die Wände beworfen waren, sich wie ein Schwamm vollsog. Nie habe ich so sehr unter Kälte gelitten, obwohl es in Wirklichkeit nicht sehr kalt war. Aber für uns, die wir es gewohnt sind, im Winter zu heizen, lastete dieses Haus ohne Kamin wie ein eisiger Mantel auf unseren Schultern.
https://www.mallorcamagazin.com/nachrichten/immobilien/2017/01/13/52064/hier-froren-george-sand-und-frederic-chopin-auf-mallorca.html
Nicht wirklich verwunderlich, aber die Tuberkulose wurde in der Klosterkarteuse nicht wirklich besser. Also brach folgerichtig der ganze Trupp Mitte Februar 1839 schon wieder auf, um die Insel zu verlassen. Valldemossa und Chopin war damit schlichtweg beendet!
Was für eine blöde Idee, oder?
Und ja, natürlich kann man nur den Kopf schütteln über eine solche Schnapsidee. Aber genauso ist es doch auch eine Schnapsidee anzunehmen, daß sich Chopin in diesen drei Monaten unsterblich in die Insel verliebte?! Der Kerl hustet und hustet. Reist in Pferdekutschen tage- und wochenlang durch die Gegend. Denn: wir befinden uns am Anfang des 19. Jahrhunderts. Lebt in kalten und feuchten Klosterkammern. Die überhaupt nicht geheizt werden. Die eigene Frau meckert dann, daß sie noch nie so sehr unter der Kälte gelitten hätte. Und vergessen wir nicht: der arme Kerl musste dabei noch kreativ arbeiten. 24 Préludes hat er in seiner Zeit auf Mallorca komponiert. Das bekannteste davon ist übrigens bezeichnenderweise das „Regentropfen-Prélude“ …
Sein eigenes Klavier kam tatsächlich erst im Januar an. Vorher musste er sich mit einem seiner Meinung nach „schlechtem Instrument“ vergnügen.
Und genau dieser Kerl verliebt sich dann angeblich in diese Insel, von der er doch denken muss, sie hätte ihm derart übel mitgespielt, daß er nie wieder in seinem Leben einen Fuss auf sie setzen wird?
Ihr werdet vielleicht denken: Die ganze Nummer mit Valldemossa und Chopin erinnert mich doch an an Hemingway und Havanna. In der ganzen wunderschönen Stadt erweisen unfassbar viele Schilder Hemingway ihre Reminiszenz indem sie kundtun, was Hemingway in jeder noch so banalen Lebenslage in diesem Haus gemacht haben solle. Da steht wirklich absurdes Zeug, teilweise geht es da um eine einzige Übernachtung. Und trotzdem ist für uns Alle Havanna ganz fest mit Hemingway verbunden.
Der alte Mann und das Meer?
Der riesige Unterschied aber ist: Hemingway war tatsächlich über 20 Jahre auf Kuba. Und wurde von den Insulanern verehrt. Ganz anders als seinerzeit unser polnischer Freund, er kam nicht wiklich gut beim Inselvölkchen an. Von der heissen Liebe, die der Conseill heute offenbar für Chopin empfindet, war damals nichts zu spüren …
Tatsächlich haben die raffinierten Mallorquiner es aber irgendwie geschafft, dass unzählige Bücher zu dem Thema geschrieben wurden. Es wurde sogar angeblich „ein Dutzend Filme gedreht“ (Mallorca Magazin, konnte ich nicht verfizieren). Und unfassbar viele Touristen schlängeln sich durch dieses eigentlich wunderschöne kleine Bergdörfchen. Und natürlich durch das Museum.
Missversteht mich bitte nicht: ich will Niemanden davon abbringen, nach Valldemosse zu fahren. Oder auch in das Museum zu gehen. Ich finde den Ort fantastisch. Und das Museum interessant. Ich kann nur überhaupt nicht nachvollziehen, warum die Chopins bis heute so untrennbar mit Mallorca verbunden werden. Es in der Realität aber nie waren.